Sommerreise 1954

18.08. bis 23. 09. FS und RM. Hohe Tauern - östliche Dolomiten (Durchklettern der Kl. Zinne Nordwand) - Brenta - Gardasee - Venedig - Lignanon.

Aus Aufzeichnungen FS (Franz Schaffer) - Tourenbuch 1936 bis 1961, maschingeschrieben, in einer Flügelmappe. R oder RM steht für Rosi / Rosa Maria.


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1.9.54 Der Weg zum Einser führt etwas absteigend rechts um die-Kanzel herum. Um 7h25 sind wir von der Hütte weggegangen und nach 1 h legen wir beim Einstieg bereits das Seil an . Vom An- und auch vom Abstieg ist mir nur noch der Kamin in Erinnerung, dessen Überhang rechts in der Wand ausgewichen wird. Alles ist ohne bemerkenswerte Schwierigkeit. Um 9h48 stehen wir auf dem üipfel des Einsers 2699m und bleiben bis 11h25 auf der Höhe eine herrliche Gipfel¬rast voll auskostend. Hinunter wollen wir den anderen im Buch an¬gegebenen Weg gehen, verfehlen ihn jedoch und gelangen schließlich wieäer zum ersten Kamin, den wir nun auch abklettern, so daß wir durch die Anstiegsschlucht wieder zum selben Einstieg kommen. Über den Sattel zwischen Kanzel und Oberbacherspitze er¬reichen wir unsere Hütte(Zsygmondi-Gomicihütte) um 14h30. Der Einser war als Eingehtour gedacht und nun hatten wir andere Ziele vor. Um 15h25 verließen wir die Hütte und übers Oberbachern-und Büllelejoch vorbei an noch immer bemerkbaren Kriegsspuren strebten wir dem Toblinger Riedel zu und trafen um 17h45 im Rif. Locatelli ein. Das erstemal war ich auf dem Einser alleingehend vor 46 Jahren und zwar auch am 1.September.

2.9.54 Vom Rif. Locatelli habe ich vermerkt: 2 Past.asc.4-oo, 2 Fleisch 600 1/2L vino rosso 14-O und 2 Matratzen 4.00 zusammen 154-O Lire. Heute sollte ein Ruhetag sein. Wir trieben uns herum um den To-blinger Knoten und sammelten Auftrieb und freuten uns unseres Da-seine in dieser oftersehnten herrlichen Gegend.

3.9.54 Vor 3 Jahren, am 24-.S. waren wir auf der Gr.Zinn©, heute steht die Kl.Zinne auf unserem Programm als Zwischenglied in der Stei¬gerung zur Kordwand. Um 7h2o traten wir aus der Hütte und standen um 7h55 am Paternsattel. Am Einstieg,ungefähr gegenüber dem Ein¬stieg zur Gr.Zinne nahmen wir Seil und Kletterschuh©, verbargen den Rucksack und begannen um 8h4-5 die Kletterei. Während es vor 3 Jahren geradezu in der Wand wimmelte von zahlreichen Partien, herrschte diesmal heilige Ruhe und wir konnten uns ungestört Zeit lassen und jede Stelle genießerisch überwinden und uns dessen freuen. In groben Zügen gehts zuerst ziemlich direkt hinauf mit Tendenz nach links, dann weit nach links und zwar bi%u^ereini-gung von Wand und üipfelturm und dann dort direkt hinauf in den Sattel am Fuß des Gipfelturmes und zwar seines obersten Teiles. - Zwei kurze oder eine ganze Seillänge sind es noch bis zum Be¬ginn des Zygmondikamins, daneben befindet sich eine schmale Terrasse, dort bleibt Rösli während ich einsteige. Der Kamin be¬reitet mir gar keine Schwierigkeit und der Ringhaken ober ihm laßt bequem den Nachkommenden und dann den Vorankletternden sichern. Völlig senkrecht gehts weiter, aber Griffe und Tritte sind immer da, ohne daß man sie lang suchen muß und dann stehen wir auf dem Gipfel der Kleinen Zinne 2856m hoch. Es Ist das dritte Mal, daß ich hier bin. Erstmalig mit dem Führer Angelo Dibona 1906 und dann 1933 mit Irmgard Häfner als uns die Nord¬wand versagt war. Um mehr als l00m wird sie von der Großen (Zinne) über¬ragt und daher kommt ein Gipfelbild in dieser Richtung nicht zur Geltung. Eine volle Stunde halten wir uns hier auf und manch einen Blick werfe ich hinunter über die Nordwand, die Rute meiner Sehnsucht - wann wird sie mir endlich beschieden sein? Nun wären wir ja für sie genügend vorbereitet. Beim Abstieg haben wir etwas länger gebraucht, da ich paar Aufnahmen machte. Um 14h25 waren wir wieder beim Einstieg hochbefriedigt nach gelungener Tour. Am Gipfel bin ich sehr bewundert worden ob der Leistung in meinem Alter, das indiskreterweise genannt worden ist. Übrigens habe ich etwas nachzutragen, das ich an-zugeben vergessen habe: Am Einser am 1.9. sind wir völlig seil¬frei geklettert. Bloß beim Abstieg über die Kaminwand habe ich Rösli ans Seil genommen. Das zeugt für die Tüchtigkeit und Sicherheit meiner Begleiterin. - Es fallen einzelne Regentropfen und wir halten eine kurze Imbißrast . Um I6h30 sind wir wieder in der Hütte.

4.9.54 Es war ein Irrtum, daß ich den Toblinger Knoten, der gar kein Mugel ist, sondern eine respektable Felszinne darstellt, für den Schwabenalpenkopf hielt auf dem ich 1909 im Alleingang gewesen bin. Als ich ihn nun wieder besteigen wollte, war mir die ganze Felsbildung fremd und ich zerbrach mir darüber den Kopf. Schließlich gelangte ich aber doch auf den Gipfel und bin nach NO auf deutlichem Pfad abgestiegen. Nachher bin ich drauf gekommen, daß der Schwabenalpenkopf viel weiter NW sich befindet und auch etwas höher ist. Wir entschlossen uns heute zu einem Intermezzo im Tal und unter Belassung der Ausrüstungssachen auf der Hütte wandten wir uns um 11h25 talwärts. Bei dieser Gelegen¬heit wollten wir das Innerfeldtal kennenlernen und überschritten daher den Sattel zwischen Toblingerknoten und Schwabenalpenkopf. Jenseitig gehts tief hinunter in den wenig geneigten Talgrund vorbei bei der anscheinend unbenutzten Dreischusterhütte, die von den mächtigen Zinnen der Dreischusterspitzen überragt ist. Weiter gehts auf einer Straße, die sich in einer wenig reiz¬vollen Gegend sehr In die Länge zieht bis sie in die Hauptstraße im Sextental einmündet und dann sind es auf dieser noch 3,5 km bis Innichen. Im Hotel Miramonte Z 8 nehmen wir Quartier. Den Koffer lassen wir vom Bellevue beim Bahnhof, wo wir ihn einge¬stellt hatten, holen, besorgen Provianteinkäufe und lassen es unss im Zimmer + 1/2 l Vino Bianco vortrefflich schmecken.

5.9.54. Sonntag. Wir verbringen den Tag in Innichen, speisen vorzüglich im Zimmer, sitzen Nachmittags in der Cafe-Bar Miramonti und finden, daß so ein Intermezzo im Tal auch sehr angenehm sein kann. Sehr viel Militär gibt es hier und zu einer Veran¬staltung in der Nähe drängen sich viele Leute.

06.09.54 Der Autobus um 8h20 bringt uns nach Sexten und in Moos im Gasth. zum Löwen frühstücken wir 2 Milch und 1 Espresso. Um 9h55 wandern wir weiter und dabei begegnen wir Dr. Remenovski flüchtig nur einen Moment, nur ein Zuwinken und Zurufen vom Rücksitz eines Motorrades. Das Hotel Fischleinboden passieren wir um 10h45. Wir lassen uns Zeit. Zwölfer und Einser beherrschen den Talschluß. Diesmal wenden wir uns am Fuße der Einsernordwand ab und steigen im Altensteinertal an, recht langsam und mit vielen Rasten wobei wir im Geiste sämtliche Ruten dieser herrlichen Wand durchforschen. Aber schließlich gelangen wir doch auf den Toblinger Riedel und um 14h15 betreten wir die Dreizinnenhütte. Dies¬mal belegen wir im 2.Stock im geräumigen Saal 2 obere Lager. Er ist fast leer und wir hoffen, daß es so bleibt, da ja die Saison schon abklingt . Es ist aber dann doch noch sehr voll geworden.

7.9.54 Die lange ersehnte Tour, die Kleine Zinne über die Norwand (fett und unterstrichen von HS), soll heute zur Ausführung gelangen - ob wir es wohl schaffen werden? Kurz vor 7h verlassen wir die Hütte und stehen in 35 Min. am Patern-sattel. Entlang demFuß der prallen Wände gelangen wir zum mir schon von früher bekannten Einstieg, dem markanten Band, das nach rechts hinaus in die glatte Südwand führt. Hier wird das Seil genommen und es ist kurz vor 8h als wir das Band betreten, das fast horizontal weit hinausführt um an einer Kante plötzlich gänzlich ab¬zubrechen. Aber ist die kletterbare Stelle, die die fürchterliche Wand überlistet. Sie erscheint mir heute abweisender als damals, wo ich einen mir überflüssig erscheinenden Haken herausgenommen hatte. In halber Höhe ließ ich Rösli nachkommen, bei einem Haken, der mir zur Sicherung sehr erwünscht war, dann ging es wesentlich leichter bis oben. Nun folgte der lange schräge Anstieg nach rechts in leichter Kletterei und die Querung nach links zum Nordwandsattel, den wir um ca 11h erreichten. Jetzt kommt die Entscheidung. Damals hatte ich allein bis zur grauen Wand, das heißt bis dorthin recognosciert, wo an glatt erscheinender Wand ein Stück nach links hinaus zu queren ist, was mir damals sehr gewagt erschien. Aber heute komme ich ohne Zögern glatt darüber hinweg und weiter. Im weiteren Verlauf der genußvollen Kletterei bin ich bei einem tiefen Riß wieder ein Stück zurück, da ich erkannte, daß es draußen leichter sei. Höher oben finde ich unter einer sehr schwierig erscheinenden Fortsetzung des Risses - es dürfte die Stelle sein wo man auch nach rechts ausweichen kann - 3 Haken zur Sicherung, die mir nicht unerwünscht sind. Und dann haben wir es geschafft. Um 12h07 stehen wir am Gipfel der Kleinen Zinne mit einem unbeschreiblich glückhaften Gefühl der Befriedigung über eine ungewöhnliche Leistung.


Gipfelfoto Kl.Zinne; im Hintergrund Gr. Zinne

Die Kleine Zinne über die Nordwand ist nun Wirklichkeit geworden! Nach uns sind noch 2 Schweizer heraufgekommen und wir konnten gegenseitig Fotos machen zur dauernden Erinnerung an einen der schönsten Momente des Daseins. Über eine Stunde haben wir Gipfelrast gehalten und dann sind wir den Normalweg hinunter. Dabei hatten wir Blitz und Donner mit Graupeln. Um 15h45 waren wir beim Einstieg und bei Regen eilten wir zum Rifugio, wo wir um 16h30 anlangten und über Nacht geblieben sind.

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